linkspartei Politik Partei Presse Links Kontakt Shop Service Ende der Hauptnavigation
01. Oktober 2006 - Kommunistische Plattform der PDS

... und doch haben wir uns nicht klein machen lassen

Referat des Bundessprecherrates auf der 1. Tagung der 13. Bundeskonferenz, Berichterstatterin: Ellen Brombacher, Berlin - Teil 1

Teil 2

Liebe Genossinnen und Genossen, seit der Bundeskonferenz im März 2006 ist erst ein gutes halbes Jahr vergangen. In dieser Zeit sind alleine im Nahen Osten Tausende Menschen umgekommen: durch den Krieg gegen den Libanon, durch Kämpfe im okkupierten Afghanistan und Irak, durch die Willkürakte im Gazastreifen. Inzwischen, so den Medien entnehmbar, zeichnet sich immer deutlicher ab: Die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen und den Libanon waren von langer Hand vorbereitet. Die Gefangennahme von israelischen Soldaten durch Hamas und Hisbollah kam zur rechten Zeit. Die Pläne für die militärischen Operationen lagen, abgestimmt mit den USA, in der Schublade. Ob die diese Schublade öffnenden Provokationen nun manipuliert waren, oder nicht - wer will das wissen. Was wir wissen, ist: Die Hamas wurde seinerzeit mit Hilfe des Mossad gegründet, um die PLO zu schwächen. Die heiligen Krieger Afghanistans hatten im CIA ihren Hauptgeburtshelfer; ging es doch damals gegen die sowjetischen Truppen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn Selbstmordattentate und Mordanschläge heutzutage manchmal wie auf Bestellung erfolgen - erinnert sei nur an den Hariri-Mord im Libanon.

Teil einer größeren Auseinandersetzung

Welche Dienste sich derzeit in den erwähnten und weiteren streng religiösen Organisationen, die schwerlich zum Lager des Fortschritts gerechnet werden können, auch tummeln mögen: deren stetig wachsender Einfluß wäre ohne die ungeheure Not des palästinensischen Volkes, ohne die Leiden der Menschen im Irak oder Afghanistan nicht denkbar. Ihr Einfluß beruht auf berechtigten Wünschen - nicht nur des palästinensischen Volkes. Er speist sich aus dem Widerstand der militant-religiösen Organisationen gegen die Okkupanten und aus sozialem Engagement. Andererseits dient dieser Einfluß auch der machtpolitischen Instrumentalisierung der in der arabischen Welt vorherrschenden Stimmungen. Diese werden benutzt, um die vielfältigen Interessen all der verschiedenen Köche zu bedienen, die blutigen Brei rühren. Letzteres zu sehen gehört ebenso zur Dialektik wie die Feststellung, wer die Hauptverantwortlichen für die Situation im Nahen und Mittleren Osten sind. Und die lassen sich bei aller Differenzierung klar benennen: Es sind die USA, Israel und zunehmend die NATO. Und es geht denen um die militärische und wirtschaftliche Vormachtstellung in einem Teil der Welt, der zu den erdölreichsten gehört und der - nimmt man alleine die territoriale Nähe Chinas und Rußlands - von außerordentlicher strategischer Bedeutung ist. Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit - BITS, schrieb in diesem Zusammenhang im ND vom 22. Juli: "Der Krieg in Libanon ist Teil der größeren Auseinandersetzung um die künftigen Machtstrukturen im Nahen und Mittleren Osten. Das hat er mit der Intervention der USA in Irak und mit dem Streit um das iranische Atomprogramm gemeinsam. ... Der nächste Schritt der Eskalation beginnt mit dem Versuch Israels, Hisbollah (und Hamas) militärisch auszuschalten oder zumindest massiv zu schwächen. Gelänge dies, so würden auch die Handlungsmöglichkeiten Syriens und Teherans eingeengt, ein künftiges Vorgehen gegen sie kalkulierbarer. Gelingt es nicht, so wäre Israel die Rückkehr zum machtpolitischen Status quo ante möglich - um den Preis einer erneuten Destabilisierung Libanons und einer erneuten Verhärtung der nahöstlichen Fronten." Gerade zwei Monate sind vergangen, seit Nassauer dies schrieb - er hat Recht behalten. Auch für die Kommunistische Plattform war es selbstverständlich, nicht zu schweigen. Ende Juli wandte sich der Sprecherrat an den Bundesvorstand der Linkspartei.PDS. Wir schrieben unter anderem: "Tag für Tag fallen Bomben auf den Libanon und im Gaza-Streifen. Menschen sterben - nicht zuletzt Kinder. Die Infrastruktur des Libanon ist faktisch zerstört. Das Land versinkt im Chaos. Schuld an allem soll die Hisbollah sein. Haifa - auch hier sterben unschuldige Menschen - und Beirut werden in den Medien in einem Atemzug genannt. Diese Gleichsetzung ist der Rauchvorhang, der die Unverhältnismäßigkeit des israelischen Vorgehens verschleiern soll. Wer spricht schon aus, um welche Interessen, insbesondere US-amerikanische, es im Nahen Osten tatsächlich geht und welches Konzept mit dem laufenden Krieg tatsächlich verfochten wird. ... Warum ... erklärt sich der Bundesvorstand der Linkspartei.PDS nicht?"

Ungeeignet für jedwede Hemdsärmligkeit

Eine Antwort erhielten wir nicht. Allerdings mangelte es nicht an anderen Reaktionen. Es gab sowohl Zustimmung zu den den Libanonkrieg betreffenden Veröffentlichungen in den August- und September-"Mitteilungen" als auch Kritik. Letztere fiel unterschiedlich aus. Manchen war unsere Stellungnahme nicht prinzipiell genug. Andere meinten, unser Brief an den Parteivorstand sei nicht frei von antisemitischen Tendenzen. So "gratulierte" ein uns stets solidarisch verbundener Genosse sarkastisch dazu, daß dieses Schreiben antisemitischer sei als die entsprechende Erklärung unserer Bundestagsfraktion. Solche und andere Kritiken können und wollen wir nicht ignorieren. Zunächst einmal ganz allgemein: Der Konflikt im Nahen Osten ist ungeeignet für jedwede Hemdsärmligkeit. Um es praktisch zu machen: Am 12. August hieß es in einem Leserbrief an die junge Welt: "Als vor nicht allzu langer Zeit Ramallah von der Armee Israels gestürmt wurde, konnte man fast die Bilder der Vernichtung des Warschauer Ghettos 1944 durch die SS wiedererkennen. Man könnte fast meinen, die Israelis haben zur ‚Sicherung des Existenzrechtes ihres Staates' von ihren ehemaligen Peinigern gelernt und setzen das jetzt um." Soweit der Leserbriefschreiber. Da kann einem nicht nur fast übel werden, sondern richtig. Der Vorsitzende der KP Israels Issam Makhoul hat sich - ebenfalls in der jungen Welt - am 22. August zu derartigen Vergleichen geäußert: "Es ist nicht richtig, Israel mit den Nazis zu vergleichen. Genauso wenig kann man Hisbollah mit den Nazis gleichsetzen, wie es Ministerpräsident Olmert gemacht hat. Die israelische Aggression ist brutal und häßlich und muß als solche zurückgewiesen werden. Man braucht keinen Nazivergleich, um zu zeigen, wie verbrecherisch diese Aggression ist. Deutschland hat keine Legitimation, Israel nicht zu kritisieren. Israel ignoriert die Rechte der Palästinenser, es verübt Massaker in Gaza und Libanon. Dies nicht zu kritisieren, hieße, nichts aus der Vergangenheit gelernt zu haben." Diese Position teilen wir. Dafür lassen wir uns von niemandem zu Antisemiten stempeln. Wir übersehen allerdings auch nicht, daß ausgehend von der aktuellen Situation jeder Antisemit versucht, sein Süppchen hochzukochen - nicht nur bekennende Nazis. Und noch etwas sagen wir in aller Offenheit: Von der Maxime, daß der Feind unserer Feinde unser Freund ist, halten wir nichts. Wir sind für das Ende der Okkupation in Afghanistan; aber deswegen gehört den Taliban nicht automatisch unsere Sympathie. Ist das eine neutralistische Position? Wir meinen: Nein. Die Tatsache, daß wir von Vereinfachungen nichts halten, bedeutet nicht, daß wir den Krieg gegen den Libanon oder die Okkupation Iraks und Afghanistans nicht als Verbrechen verurteilen. Und noch etwas: Daß Israel über Atomwaffen verfügt, ohne daß Sanktionen je auch nur in Erwägung gezogen wurden oder die USA aus gegen China gerichteten machtpolitischen Gründen das Atomwaffenprogramm Indiens unterstützt - während dem Iran das Recht auf Urananreicherung abgesprochen wird, ist eine den Weltfrieden gefährdende Heuchelei. Dies offen zu sagen, hindert uns nicht daran, die Äußerungen des iranischen Präsidenten zum Völkermord an sechs Millionen Juden als unerträglich zu bezeichnen. Und das sind offizielle Äußerungen. Die sind bekanntlich in der Regel nur die Spitze eines Eisbergs. Vor einiger Zeit erzählte mir ein syrischer Genosse, in seinem Land würde man abends Kindern, die nicht schlafen wollen, drohen: "Schlaf jetzt, sonst holen wir den Juden." Wohl keiner von uns wird solches verniedlichen, und keiner von uns würde im Norden Israels wohnen wollen, auf den - mit Unterbrechungen - seit Jahr und Tag Raketen abgefeuert werden. Aber noch viel weniger wünschten wir wohl, im Gaza-Streifen oder im zerbombten Libanon zu leben. Und schon sind wir wieder bei Relationen, bei Ursachen und Wirkungen. Die intellektuelle und emotionale Schwierigkeit im Umgang mit den grauenhaften Nachrichten, die uns ereilen und die für die Millionen Menschen im Nahen und Mittleren Osten der Alltag sind, besteht darin, die extrem durch den Holocaust geprägte, besondere Geschichte Israels nicht mit einer flapsigen Handbewegung abzutun und diese Geschichte dennoch nicht als Legitimation für israelische Untaten zu akzeptieren. Und das geht nur, wenn im Mittelpunkt jeder Bewertung der Situation im Nahen Osten die Interessen stehen, die zur Geltung gebracht werden sollen. Alles andere führt zu Apologetik im Umgang mit der Politik Israels oder zur Beförderung von Antisemitismus. Das ist die Gratwanderung, die heute nicht nur Kommunisten, sondern jedem, der Frieden im Nahen Osten wünscht, abverlangt wird. Damit sind wir vermutlich auch den Friedensbewegungen im Nahen Osten nahe, nicht zuletzt der israelischen; nahe ebenso marxistisch orientierten Parteien aus der Region. Das belegt auch eine "Erklärung der außerordentlichen Konferenz kommunistischer und Arbeiterparteien aus der südlichen und östlichen Mittelmeerregion, der Region des Roten Meeres und der Golfregion" zum Libanonkrieg. Die Konferenz fand vom 19. bis zum 20. August in Athen statt. Sowohl die Kommunistische Partei Libanons als auch die israelische KP nahmen daran teil und unterzeichneten die besagte Erklärung, die wir in den September-Mitteilungen dokumentierten.

Zwangsläufig Teil zukünftiger Konflikte

Liebe Genossinnen und Genossen, solange Holocaustüberlebende sowie deren Kinder und Enkel jede von Israel begangene Ungerechtigkeit mit Auschwitz begründen und Palästinenser die aus Auschwitz auch in den nachfolgenden Generationen nachwirkenden tiefen Ängste als ein Verstecken hinter der Geschichte abtun, wird eine Absurdität kein Ende nehmen: daß nämlich diese beiden, sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehenden Verhaltensmuster einer Mehrheit der israelischen Bevölkerung und besonders der israelischen Armee die Sicht darauf verstellen, wessen tatsächliche Interessen die israelische Politik vorwiegend bedient und daß besonders das palästinensische, aber auch das jüdische Volk letztlich leiden, damit Kapitalinteressen gerade im Nahen Osten zur Geltung kommen. Das zeigt sich gegenwärtig erneut. Die einseitig die Interessen Israels fixierende Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates vom 12. 8. 2006 ist kaum eine Basis für dauerhaften Frieden in der Region. Es ist eine Entschließung, deren Bedingungen von den USA diktiert wurden, nachdem der Sicherheitsrat seinen Aufgaben mehr als einen Monat lang nicht gerecht geworden war. Letztlich schien es einen anderen Ausweg mehr zu geben, das durch den Krieg verursachte Elend zu stoppen, als die Stationierung von durch die UNO gerufenen Truppen, die vor allem aus der NATO kommen. Selbst, wenn sich diese Truppen nicht ohne weiteres dazu benutzen lassen würden, die Interessen der US-amerikanischen und israelischen Falken zu vertreten - sollten sich die Auseinandersetzungen mit Syrien und dem Iran weiter zuspitzen -, so werden die im Libanon nun militärisch involvierten Staaten wohl zwangsläufig Teil dieses Konfliktes werden. Es erhebt sich die Frage, ob das strategische Zwischenziel des jüngsten Libanonkrieges nicht eben in der Schaffung dieser Ausgangslage für neue, größere Kriege in der Region bestand. Dann allerdings könnte die Mitwirkung europäischer NATO-Truppen an der scheinbaren Befriedung entlang der libanesisch-israelischen Grenze weit Schlimmeres zur Folge haben als Terroranschläge in den Entsenderländern. Deutschland jedenfalls steckt mittendrin im Schlamassel, dessen Fortgang nicht im Bendler-Block und auch nicht in Brüssel entschieden wird, sondern letztlich im Weißen Haus bzw. im Pentagon.

Imperialismus ist eben nicht friedensfähig

Liebe Genossinnen und Genossen, seit Juli befinden sich deutsche Soldaten auch im Kongo. Natürlich geht es nicht um Rohstoffe, sondern um die Absicherung demokratischer Wahlen - nunmehr der Stichwahlen am 29. Oktober. Regelmäßig erreichen uns beunruhigende Meldungen über die Situation im Land. Es ist nicht mehr so häufig die Rede davon, daß die Bundeswehrangehörigen Weihnachten wieder zu Hause sein werden. In Afghanistan sollen solange Besatzer bleiben, bis sich die Lage stabilisiert hat. Diese indes wird immer instabiler. Über deutsche Soldaten auf dem Balkan wird kaum noch gesprochen. Der Kosovo ist ethnisch annähernd gesäubert. Es ist dort von großem Vorteil, kein Serbe, Roma oder Jude zu sein. Und das nach einem völkerrechtswidrigen NATO-Krieg, der angeblich der Menschen- und Minderheitenrechte wegen geführt wurde. Bevor die ersten Bomben auf Belgrad fielen, wurden nicht zuletzt hierzulande die Leute von morgens bis abends betrogen - in einer mittels dieser Lügen medial aufgeheizten, nur als hysterisch zu bezeichnenden Stimmung. Tabubrüche bedürfen der Massenhysterie. Seit etwa anderthalb Jahrzehnten ist der europäische, seinerzeit real existierende Sozialismus zerstört. In dieser historisch kurzen Frist wurden imperialistische Kriege wie einst wieder immanenter Bestandteil kapitaldominierter Politik. Heutzutage jedoch setzen Soldaten ihre Stiefel in der Regel nur im Auftrag der internationalen Gemeinschaft auf fremden Boden. Die von Hartz IV betroffenen Gemeinschaftsmitglieder allerdings werden nicht gefragt, was sie davon halten, daß immense Gelder für Kriege ausgegeben werden, und zur internationalen Gemeinschaft gehören ohnehin nur selbsternannte Mitglieder. Der Rest sind Schurkenstaaten oder Habenichte. Die Niederlage des so unvollkommenen europäischen Sozialismus hat die Vervollkommnung des Imperialismus rapide beschleunigt. Ich erinnere mich immer häufiger einer Podiumsdebatte Mitte der neunziger Jahre in der Volksbühne. Kurz zuvor war in der Presse gemeldet worden, die USA hätten das erste Mal seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes ihre Rüstungsausgaben erhöht. Dies spielte in der Debatte eine Rolle und einer der Teilnehmer, Professor an der FU, meinte, das sei so friedensgefährdend nicht. Die Wende und die Prozesse in Osteuropa insgesamt hätten bewiesen, daß, wozu Hitler noch Panzer gebraucht habe, heute - und zwar siegreich - mit der DM bewerkstelligt werden könne. Zukünftige Auseinandersetzungen würden eher nicht in kriegerischer Form erfolgen. Das war zwar logisch. Aber, wie wir heute wissen, war es nicht unbedingt dialektisch gedacht. Mittlerweile ist leider erwiesen: Wenn das Kapital so stark ist, daß es mit dem Dollar oder Euro Territorien erobern kann - genau dann setzt es andernorts Panzer, Flugzeuge und Bomben ein. Und ganze Geheimdienstdenkfabriken und -institutionen sind damit befaßt, die Provokationen zu ersinnen, medial zu stimulieren und gegebenenfalls auch selbst zu organisieren, welche die scheinbaren Gründe dafür liefern, die Waffen sprechen zu lassen. Der Imperialismus ist eben nicht friedensfähig oder - um Haarspaltereien auszuschalten: Er ist es lediglich in dem Maße, wie ihm Frieden aufgezwungen werden kann. Wo die aufzwingenden Kräfte fehlen, entfaltet sich die ihm eigene Natur mörderisch. Es ist nachgerade ein Freiheitsgut des Kapitals, Kriege führen zu dürfen. Kommunisten und Sozialisten haben in der Gegenwart eine schwache Position im Friedenskampf, da ihnen weitgehend die staatlichen Möglichkeiten fehlen, dem Kapital etwas aufzuzwingen. Aber eines können wir: Offen und klug darüber aufklären, wer an Kriegen interessiert ist, welche Interessen im Spiel sind. In dieser Frage Illusionen zu verbreiten oder zu deren Verbreitung auch nur zu schweigen, ist prinzipienlos.

Krieg kostet

Liebe Genossinnen und Genossen, Es ist kein Zufall, daß die Ersetzung des Grundsatzes, von deutschem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen durch das Prinzip, deutsche Interessen müßten am Hindukusch verteidigt werden, mit der rasanten Abschaffung des Sozialstaatsprinzips einhergeht. Krieg kostet! Die Bundeswehr hat für ihre Auslandseinsätze seit 1992 knapp neun Milliarden Euro ausgegeben. Der deutsche Verteidigungshaushalt ist der drittgrößte Einzelplan und beträgt rund 28 Mrd. Euro. Weltweit waren Ende Juli 7.711 Bundeswehrangehörige im Einsatz. Hinzu kommen nun die bis zu 2.400 im Nahen Osten eingesetzten Soldaten. Die einsatzbedingten Zusatzausgaben allein hierfür betragen im Haushaltsjahr 2006 für die Dauer von drei Monaten bis zu rund 46 Millionen Euro. Und natürlich benötigen besonders die sich in sogenannten robusten Einsätzen befindlichen Vollstrecker vorgeblicher deutscher Interessen in aller Welt neue Fregatten und U-Boote sowie neue Generationen von gepanzerten Transportfahrzeugen. 6 Mrd. Euro würden da gebraucht, erklärte der für Kriege zuständige Minister Jung vor wenigen Wochen.

Es wäre erstaunlich, würden sich diese Milliarden nicht auftreiben lassen. Seit dem 1. August wird Hartz IV, sprich ALG II "optimiert". Genannt seien in diesem Zusammenhang einige begleitende Stichworte, welche die Demütigung von Menschen, die ohnehin schon weit unten sind, nur karg beschreiben: Kontrolle, Sanktionen, Widersprüche haben keine aufschiebende Wirkung mehr, Beweislastumkehr etc. Es versteht sich von selbst, daß es den Betroffenen durch die sogenannten Optimierungen nicht besser gehen wird. Die beschlossenen Änderungen vollziehen sich hauptsächlich im Sanktionsbereich, und noch mehr Menschen werden von Leistungen ausgeschlossen sein. Besonders schlimm trifft es jene, die nicht einmal mehr krankenversichert sind. Im reichen Deutschland sind das mittlerweile immerhin 190.000 Menschen. Ganz im asozialen Trend liegt auch ein Gesetzentwurf zur Neureglung der Prozeßkostenhilfe. Dieser sieht nicht zu verantwortende Erschwernisse für die Gewährung der Prozeßkostenhilfe vor. Allein die Prüfung der Gewährung dieser Hilfe soll eine Zahlungspflicht von 50 Euro für jeden Bürger auslösen, dessen monatliches Einkommen nur 100 Euro über dem Existenzminimum liegt. Wolfgang Neskovic hat dies im Bundestag als "Praxisgebühr im Gerichtssaal" bezeichnet. Damit nicht genug. Geplante Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes verlangen - im so genannten Unterliegungsfall - die Einführung von Gerichtsgebühren in pauschalierter Form von allen vor Sozialgerichten Rechtsuchenden. So soll wohl der sprunghafte Anstieg bei Hartz-IV-Klagen, sowohl das ALG II als auch Wohnkosten, Heizungsgeld, Zwangsumzüge oder Kriterien für Bedarfsgemeinschaften betreffend, gestoppt werden. Wie vorausschauend zieht man in Betracht, daß der Bund die zugesagten Leistungen an die Kommunen für Unterkunft und Heizung um 1,6 auf zwei Milliarden Euro kürzen will. Die Konsequenzen sind Standardabsenkungen für angemessenen Wohnraum und die Erhöhung des Drucks auf Hartz-IV-Empfänger zur Senkung der Wohnkosten. In Anbetracht dieser Aussichten könnte ja jeder kommen und klagen. Und der Wahnsinn nimmt kein Ende. Gesetzlich fixiert ist die Streichung des bisherigen Defizitzuschusses des Bundes zur Bundesagentur für Arbeit, die Begrenzung der Sozialversicherungsfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen, die Verminderung des allgemeinen Bundeszuschusses zur Rentenversicherung oder die Absenkung der pauschalen Zuweisungen des Bundes an die gesetzliche Krankenversicherung. Alleine dieses Haushaltsbegleitgesetz 2006 führt zu beträchtlichen, also milliardenschweren Entlastungen der öffentlichen Haushalte. Oder nehmen wir das Steueränderungsgesetz 2007. Es fixiert die Senkung der Altersgrenze für Kindergeld, den Ausschluß von 20 km bei der Entfernungspauschale, die Senkung des Sparerfreibetrages auf 750 Euro für Ledige bzw. 1500 Euro für Verheiratete. Dieses Gesetz führt zu Mehreinnahmen zwischen 2,1 Mrd. Euro (2007) und 5,4 Mrd. Euro (2010). Apropos Senkung der Altersgrenze für Kindergeld: Die Zahl der in Armut lebenden Kinder in Deutschland hat sich in den vergangenen zwei Jahren mehr als verdoppelt. Derzeit leben rund 2,5 Millionen Kinder unter 18 Jahren auf Sozialhilfeniveau. Weiter: Ab 2007 werden Einsparungen von mehr als 2,5 Mio. Euro durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze erwartet. Im Vollzug der bürokratischen Formulierung, "Erweiterung der BG um Personen unter 25 Jahren und Bezug von ausschließlich 80% der Regelleistung bei Umzug ohne Zustimmung des Leistungsträgers" wird sich für nicht wenige sozial schwache Jugendliche und deren Eltern familiärer Zündstoff ansammeln. Die drohende Gefahr der Altersarmut wird durch die Absenkung des Rentenversicherungsbeitrages für ALG-II-Bezieher und die Abschaffung der Rentenversicherungspflicht für erwerbstätige ALG-II-Bezieher und Aufstocker auch nicht gerade gemindert. Zugleich wurde das Rentenalter heraufgesetzt. Änderungen des Gesetzes zum Schutz der arbeitenden Jugend soll die Erweiterung von Arbeitszeiten für jugendliche Auszubildende im Gaststättengewerbe auf 23:00 bzw. 21:00 Uhr regeln. Die letztgenannten Gesetze sind noch gar nicht beschlossen, da kommen schon neue Vorschläge von Arbeitgeberverbänden oder Ministern, von Menschen also - das sei ausgesprochen - die nicht einmal ahnen, was es heißt, wenn eine Mutter im Supermarkt ihrem Kind Süßigkeiten vorenthalten muß, weil ihr das Geld für diesen "Luxus" fehlt. Da soll auf Urlaub verzichtet werden, um der Altersarmut vorzubeugen, und es wird laut darüber nachgedacht, ALG-II-Empfänger in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Gewährleistung von Sicherungsaufgaben einzusetzen. Ein Sachverständigenrat schlägt vor, das ALG II um 30 Prozent zu senken.

Zynismus liegt im System

All das und vieles andere mehr ist blanke Menschenverachtung. Dieser Zynismus liegt zwar auch im Charakter der Protagonisten solcher Horrorvorschläge, vor allen aber liegt er im System. Wir alle erleben den in rasendem Tempo vonstatten gehenden Sozialabbau. Aus Zeitgründen haben wir uns in der Aufzählung begrenzt und zum Beispiel nichts zu den Segnungen der geplanten Gesundheitsreform, nichts zu Studiengebühren oder zur bevorstehenden Mehrwertsteuererhöhung gesagt. Auch über die asozialen Wirkungen der hunderttausendfachen Privatisierung von öffentlichem Wohneigentum zu reden würde den heutigen Rahmen sprengen. Zusammengefaßt läßt sich sagen: Was auch geschieht - es ist darauf gerichtet, Gewinne zu privatisieren und gesellschaftliche Aufwendungen auf jene abzuwälzen, die eh schon am wenigsten haben. Alles, was geschieht, trägt dazu bei, die Ärmsten zu schröpfen und - bezogen auf den vor die Hunde gehenden Mittelstand - die Kleineren, beispielsweise über entsprechende Ladenöffnungszeiten, tot zukonkurrieren. Es ist die globale Pauperisierung im Gefolge der beinahe weltweiten Restauration des Kapitalismus - vom Zeitgeist Globalisierung genannt. Die Mehrheit der Menschheit lebt im Elend, und in den sogenannten führenden Industriestaaten des Westens nimmt die massenhafte Verarmung rapide zu. Mit Menschenrechten und Freiheit hat das nichts zu tun. Isabel Allende hat über diese von ihr als gnadenlose Ellenbogengesellschaft bezeichneten Verhältnisse gesagt: "Die Freiheit besteht darin, daß man aus verschiedenen Marken auswählen darf, was man auf Kredit kaufen will." Hinzugefügt sei: So die SCHUFA Kreditwürdigkeit bestätigt. Die bürgerlichen Ideologen haben für diese zutiefst asoziale Seite des Kapitalismus, charakterisiert auch durch Bildungsschranken, Zweiklassenmedizin, Obdachlosigkeit, Drogenmißbrauch, Menschenhandel, Flüchtlingssterben vor den Küsten Europas, Legalisierung von Folter in den USA und all die anderen Faktoren, die vom Zerfall des Gemeinwesens zeugen, eine rührende Erklärung: Dies sei der Preis der Freiheit. Robert Eaton, ehemaliger Vorstandschef von Daimler Chrysler, hat 1999 in dankenswerter Offenheit kundgetan, was es mit diesem Preis der Freiheit auf sich hat. "Was dem Wachstum hauptsächlich im Wege steht", so Eaton, "ist die Illusion, daß die Kosten des globalen Kapitalismus vermieden werden können, während man gleichzeitig seine Früchte genießt. ... Er [der Kapitalismus, der Verf.] ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Er ist selten fair. Er belohnt nicht immer die Guten und straft nicht immer die Bösen. Manchmal geht es den Bösen gut. Manchmal wird Glück mehr belohnt als harte Arbeit. Der Kapitalismus schafft großen individuellen Reichtum und manchmal zu große individuelle Armut. Die Kosten sind hoch, aber die Belohnungen sind noch größer." Der Kernsatz in Eatons Rede lautet: "Die Schwachen müssen sich verändern, oder sie werden sterben." Wenn es dem Kapital erlaubt ist, die funktionelle Verkommenheit des Profitsystems auf solche Weise moralisch zu rechtfertigen, warum ist es dann in den Augen mancher Linker eine Art Todsünde, über den Preis der sozialen Sicherheit und des Friedens zu reden. Der Preis nämlich ist die Überwindung des Kapitalismus und die Errichtung einer anders funktionierende Gesellschaft, die natürlich in ihrer Anfangsphase alles andere als perfekt ist. Die Erfahrung haben wir gemacht. Die Brie-Brüder und ihresgleichen predigen eine perfekte sozialistische Gesellschaft vom ersten Tage ihrer Existenz an. Ihre Vorstellungen vom Sozialismus erinnern irgendwie an die Geschichte von der unbefleckten Empfängnis. Und um es auch dem Verfassungsschutz ein wenig schwerer zu machen, soll an dieser Stelle Kurt Tucholsky unseren Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen. 1922 schrieb er: "Ich will nicht, daß ... diese Kinder einmal in Ackergräben verrecken, weil sich zwei Kapitalistengruppen nicht anders über die Verteilung der Konsumentenplantagen einigen können, und weil zwei Beamtenapparate dergleichen zur Auffrischung und Weiterexistenz nötig haben, soziologische Fakten, die man unter Zuhilfenahme entsprechender Universitätsprofessoren und frei schaffender Schriftsteller als mystisch immanente Gegensätzlichkeiten leicht philosophisch begründen kann. Wir haben's ja: Wozu haben wir auf diesen Universitäten studiert! ... Wer nicht sieht, daß es ganze Gesellschaftsschichten sind, ganze Klassen und Kasten, die so verkommen, so heruntergekommen in ihrem moralischen Empfinden, von so frechem Hochmut sind - wer nicht sieht, daß man diesen Beamten, ihren Söhnen, diesen Studenten, Professoren, Oberlehrern, Medizinern, diesen Balkan-Deutschen die Macht zeigen muß, die unlogische, nicht objektive, ungerechte, einfache Macht: der richtet das Land zugrunde. Und wir wollen uns nicht zugrunde richten lassen." Soweit Tucholsky - womit wir bei der Programmdebatte angelangt wären.

Wie hieß es doch bei Bernstein?

Liebe Genossinnen und Genossen, gestern tagte in Hannover der Programmkonvent. Thomas, Christian, Jochen und ich nahmen als Mitglieder des Bundeskoordinierungsrates daran teil. Wenngleich im Rahmen der Diskussion generelle Stimmungen zu programmatischen Fragen deutlich wurden, blieb der Konvent letztlich unverbindlich. Er hätte dazu beitragen können, explizit jene programmatischen Grundfragen in den Mittelpunkt der Debatte zu rücken, deren Beantwortung für den Charakter der neuen Linken ausschlaggebend sein werden. Grundlage für eine solche Debatte könnte eigentlich nur eine auf das Wesentliche beschränkte Analyse der entscheidenden Widersprüche im Rahmen der existierenden Papiere sein. Genau diese Analyse fehlt. Zur Zeit kursieren eine Vielzahl von Papieren. Neben den "Eckpunkte(n)" und dem "Gründungsaufruf" sind die bekanntesten in chronologischer Reihenfolge: "Eine Antwort auf die programmatischen Eckpunkte für eine neue Linke" (vom Geraer Dialog, dem Marxistischen Forum und der Kommunistischen Plattform verfaßt und im März 2006 beschlossen); "Für eine antikapitalistische Linke. Thesen für die programmatische Debatte der neuen Linken" (Erstunterzeichner Sahra Wagenknecht, Nele Hirsch, Tobias Pflüger u.a., März 2006); "Freiheit und Sozialismus - Let's make it real. Emanzipatorische Denkanstöße für die neue linke Partei" (Julia Bonk, Katja Kipping, Caren Lay u.a., April 2006); "Abschied und Wiederkehr. Aufruf aus der PDS zur neuen Linkspartei in Deutschland" (PDS-Landesvorsitzende der Neuen Bundesländer, MdB, MdA, Vorstandsmitglieder etc., Juli 2006). "Sozialistische Linke: Realistisch und radikal" (Erstunterzeichner Ralf Krämer, Ulla Lötzer, Wolfgang Gehrcke, Diether Dehm, August 2006). Darüber hinaus existieren weitere Papiere und eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die sich auf dieses oder jenes Papier beziehen. Wir können die Situation in der WASG nicht einschätzen, sehr wohl aber die an der PDS-Basis. Verkürzt ließe sie sich so schildern: In Anbetracht der Vielzahl der Erklärungen mit programmatischem Anspruch ist den Genossinnen und Genossen der Überblick verloren gegangen. Die Sommerpause tat das ihre. Eine Auseinandersetzung wurde und wird durch die benannte Anhäufung von Positionen nicht befördert, sondern eher "zugeschüttet". Währenddessen bereiteten im wesentlichen hinter den Kulissen die dem mainstream am ehesten verbundenen Kräfte in der Linkspartei den 2. Entwurf der "Programmatische(n) Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland" vor, der inzwischen veröffentlicht ist. Zum 1. Entwurf der Eckpunkte hatten wir uns auf der letzten Bundeskonferenz ausführlich geäußert. Leider bietet der nun vorliegende 2. Entwurf keine Veranlassung zu einem weniger kritischen Urteil. Nach der gemeinsamen Sitzung der Parteivorstände von Linkspartei.PDS und WASG am 22. Oktober wird sich der Bundeskoordinierungsrat auf seinen Beratungen im November und Dezember gründlich mit den Eckpunkten befassen. Deshalb heute nur soviel: Der Sozialismus kommt im Papier lediglich einmal und das als unverbindlicher Begriff und nicht mehr als Ziel sondern nur noch als Prozeß vor. Wie heißt es doch bei Bernstein? "Ich gestehe es offen, ich habe für das, was man gemeinhin unter ‚Endziel des Sozialismus' versteht, außerordentlich wenig Sinn und Interesse. Dieses Ziel, was immer es sei, ist mir gar nichts, die Bewegung alles." Soweit Bernstein. Von ihm zurück zu den Eckpunkten. Im Kapitalismus gibt es dem Entwurf zufolge zerstörerische Prozesse; demzufolge ist nicht sein Wesen das Problem, sondern es gilt vielmehr, seine negativen Züge zu beseitigen. Der Kapitalismus soll verbessert werden - das ist die "gesellschaftliche Transformation", welche die Verfasser anstreben. Während im Zusammenhang mit dem Kapitalismus von Fehlentwicklungen die Rede ist und das Wort "verbrecherisch" nicht auftaucht, wird es im Zusammenhang mit dem gewesenen Sozialismus sehr wohl verwandt. Und mehr als das: Bezug nehmend auf fortschrittliche Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre heißt es: "Sie wurden von den Herrschenden bekämpft und wie im Fall des Prager Frühlings oder der chilenischen Volksfrontregierung unter Salvador Allende sogar mit Waffengewalt niedergeschlagen." Dieser unerträgliche Vergleich wird in den Eckpunkten ohne Not verwandt. Er ist also als reine Provokation gedacht. Alles in allem ein schöner programmatischer Beginn.

Bisher galt der sozialistische Versuch als historisch legitim

Liebe Genossinnen und Genossen, welche Rolle der wesentlich von Oskar Lafontaine mitverfaßte "Aufruf zur Gründung einer neuen Linken" spielen soll, wird sich zeigen. Nachdem Anfang Juni 2006 dieser gemeinsame Gründungsaufruf erschienen war, haben wir mit großer Aufmerksamkeit die Reaktionen darauf verfolgt. Da es an Angriffen nicht fehlte, gedacht sei stellvertretend an Wulf Gallert oder Matthias Höhn aus Sachsen-Anhalt, bekundete der Sprecherrat zuförderst Solidarität. Diese möchten wir heute, aus aktuellem Anlaß, bekräftigen: Der auf dem Sachsen-Anhalter Landesparteitag beschlossene Leitantrag zu programmatischen Fragen ist nicht nur für Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei unerträglich. Dieses Papier ist eine Denunziation jeglicher linker Positionen in Deutschland, ob es sich um kommunistische oder auch linkssozialdemokratische Standpunkte handelt. Zugleich werden die Protagonisten linker Positionen denunziert. Nicht ein angeblich "autoritär und personalisiert geführter Kampf um eine Meinungsführerschaft" gefährdet ein linkes Projekt, sondern jene, die unter falscher Flagge segeln. Wer in einem Zug den gewesenen Sozialismus und den Kampf der Westlinken diskreditiert, wer eigene Konzepte lediglich von tagespolitisch fixiertem Pragmatismus abzuleiten gedenkt, wer die "einst unumstrittene" öffentliche Daseinsvorsorge als nicht mehr selbstverständlich bezeichnet und kommunale Aufgaben dem privaten Sektor übertragen will - der sollte von Sozialismus schweigen. In einem offenen Brief an die Delegierten des am 23./24. September stattgefundenen Landesparteitages Sachsen-Anhalt wurden diese gebeten, dem Antrag "Offen für Veränderung - offen für den Dialog" nicht zuzustimmen. Das Stimmergebnis lautete: 76 Fürstimmen, 13 Gegenstimmen und 6 Stimmenthaltungen. Den Unterzeichnern des offenen Briefes wurde vor und auf dem Parteitag vorgeworfen, sie hätten mit Unterstellungen gearbeitet - das Übliche also. Nach der Beschlußfassung sprach Matthias Höhn von einem "Baustein" für das neue Parteiprogramm. Nur eine, wenngleich wichtige, Korrektur hatten die Autoren vorab am Leitantrag vorgenommen. Alles andere kam durch, so auch ein weiterer Tabubruch. Bisher galt in der PDS der sozialistische Versuch als historisch legitim, wenngleich die Bewertung desselben unterschiedlich erfolgte. In Sachsen-Anhalt gilt dies nicht mehr. Im Landesparteitagsbeschluß heißt es, der Inhalt des Gründungskonsens aus dem Jahre 1989 sei der unwiderrufliche Bruch mit dem Stalinismus und dem Poststalinismus gewesen. Und dann wörtlich: "Die geistige Überwindung des darauf basierenden real existierenden Staatssozialismus war und ist ein unumkehrbarer Akt der Emanzipation unserer Partei."

Sehen wir einmal davon ab, daß in der KPF der Begriff Stalinismus aus gutem Grund nicht verwandt wird. In der Feststellung, 1989 sei mit dem Poststalinismus gebrochen worden, liegt die Behauptung, der gesamte real existiert habende Sozialismus sei seinerzeit innerparteilich delegitimiert worden. Wer das so hinstellt, hat die Dokumente des Sonderparteitages nie gelesen oder hofft zumindest, daß sich niemand mehr ihrer erinnert; das Wort Poststalinismus z.B. kommt darin gar nicht vor. Zugleich verleiht er einem durch und durch zynischen Verhältnis zur Mitgliedschaft unserer Partei Ausdruck. Beiträge und Spenden werden gern genommen, und ansonsten wäre man die sogenannten Altlasten am liebsten los. Soweit zum vergangenen Wochenende.

Wir sind für Verbindlichkeiten

Liebe Genossinnen und Genossen, mit vielen im "Aufruf zur Gründung einer neuen Linken" formulierten Positionen können wir uns identifizieren, da sie sich am realen Leben orientieren. Auch dadurch unterscheidet sich der Aufruf z.B. von der Erklärung "Abschied und Wiederkehr", in welcher Unverbindlichkeiten vorherrschen, da alles so kompliziert, komplex und offen sei. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Auch wir halten die Dinge für kompliziert, komplex und offen. Nur ist unsere Schlußfolgerung daraus nicht, daß man sich nicht festlegen sollte. Wir sind für Verbindlichkeiten denen gegenüber, die uns wählten und die auf uns hoffen - weil sie niemanden anderen wüßten als uns. Zumindest nicht in den Parlamenten. Im "Aufruf zur Gründung einer neuen Linken" finden sich deutliche Worte zu Privatisierungen, Personalabbau und Kürzungen sozialer Leistungen. Die Aufzählung ließe sich erweitern.

Mit Absicht sah der Sprecherrat von einer umfänglichen Einschätzung des Gründungsaufrufs ab. Wir wollten vermeiden, anderen unfreiwillig Schützenhilfe zu leisten. Allerdings möchten wir auf der heutigen Konferenz nicht darauf verzichten, in aller Offenheit mitzuteilen, welches Hauptproblem wir mit dem Gründungsaufruf haben. Die Bemerkungen zum gewesenen europäischen Sozialismus sind zwar - im Gegensatz zu vielen anderen innerhalb und erst recht außerhalb der PDS - ohne Gehässigkeit; aber sie werden der historischen Dimension der zwischen 1917 und 1990 im staatlichen Rahmen stattgefundenen nichtkapitalistischen Entwicklung in keiner Weise gerecht. Nun kann ein solches Manifest natürlich keine umfassende historische Analyse leisten. Um so wichtiger ist es, daß die in einem solchen Dokument zur Geschichte enthaltenen Formulierungen nicht den gewohnten Stereotypen entsprechen. Doch genau diese finden sich. Die Feststellung "Im Bestreben, allen ihren Bürgerinnen und Bürgern Lebenschancen und Arbeit zu geben und den Wohlstand gerecht zu verteilen, mißachteten die osteuropäischen Staaten die beiden großen Maximen Rosa Luxemburgs ..." beantwortet die Frage nach den tieferen Ursachen für Demokratiedefizite im Sozialismus nicht einmal ansatzweise - und bedient daher Mainstream-Klischees. Durch das Fehlen jeder Determiniertheit (sieht man von der Feststellung der schlechteren ökonomischen Wirtschaftslage ab) scheint der Schluß sehr nahe zu liegen (unterstützt durch die abstrakte Feststellung über "das wenig effektive Wirtschaftssystem"), ein Versuch, im Zusammenhang mit der Vergesellschaftung des Eigentums qualitativ neue soziale Lebensbedingungen zu entwickeln, sei an sich zum Scheitern verurteilt. Auch die Aufnahme einer Festlegung zugunsten der Vergesellschaftung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft im Manifest ist mit der klaren Fixierung des Ziels einer sozialistischen Gesellschaft nicht zu verwechseln. Und noch etwas: Über den vergangenen europäischen Sozialismus des zwanzigsten Jahrhunderts zu schreiben, ohne den hervorragenden Anteil der Sowjetunion an der Zerschlagung der Hitlerbarbarei zu benennen, halten wir für inakzeptabel.

Die schwerwiegenden Probleme, die sich aus dem Versuch, eine sozialistische Ordnung zu errichten, auch ergaben, bedürfen der sachlichen Analyse: Die Frage eingeschlossen, welche Auswirkungen der Wegfall eines alternativen Systemansatzes in Europa auf den Zustand der heutigen Welt hat. Die Einführung schöner Begriffe, die suggerieren sollen, daß ein zukünftiger Sozialismus sozusagen vom ersten Tage an einem Idealbild entsprechen würde, ersetzt weder die Analyse, noch ist ein solches Herangehen redlich. Und diejenigen in der PDS, die dieses Herangehen predigen, sind im Alltag viel zu bedingungslos pragmatisch - alle Unappetitlichkeiten des Pragmatismus eingeschlossen - als das wir annehmen könnten, sie würden den Schwachsinn glauben, den sie verbreiten. Auch hier wollen wir nicht mißverstanden werden. Es geht uns nicht um einen beschönigenden Umgang mit unserer Vergangenheit. Es geht uns, wie der übergroßen Mehrheit der PDS-Mitgliedschaft, um Ernsthaftigkeit im Umgang mit ihr. In der 93er Programmatik war diese Ernsthaftigkeit noch zu verspüren. Im 2003 in Chemnitz beschlossenen PDS-Programm ist nur ein schwacher Hauch dieser Ernsthaftigkeit verblieben. Nunmehr soll an die Stelle der Analyse - ob im Eckpunktepapier oder leider auch im Gründungsaufruf - endgültig die Tendenz des Zeitgeistes treten. Wenn wir uns gegen eine vom Zeitgeist zunehmend diktierte und daher denunziatorische Sicht auf die Geschichte der DDR oder auch der Sowjetunion wenden, dann deshalb, weil wir davon überzeugt sind, daß diese Sicht vor allem eins bewirken soll: Menschen jeder Hoffnung zu berauben, daß anderes als der Kapitalismus machbar ist. Wir sind Kommunistinnen und Kommunisten geblieben, weil wir uns gerade darauf, den Kapitalismus als letzte Antwort der Geschichte zu betrachten, nicht einlassen wollen. Was hier und heute auf der Agenda steht, wissen wir gut. Wir sind weder Träumer noch mangelt es uns an Intelligenz. Nur - dieses System nicht als faktischen Gipfel der Zivilisation anzuerkennen steht auf einem anderen Blatt - allerdings ist das Buch dasselbe.

...

Teil 2

AGs, IGs, Plattformen
Was moechten Sie tun:
Zurück zur Übersicht Seite drucken
ERWEITERTE SUCHE SUCHE