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14. April 2007 - Kommunistische Plattform der PDS

Ein Stein des Anstoßes - Gedanken zum Umgang mit unserer Geschichte

Referat von Dr. Andrej Reder auf der 2. Tagung der 13. Bundeskonferenz in Berlin

Meinen Gedanken möchte ich voranstellen:

1. Die Geschichte meiner Familie, insbesondere meiner Eltern hat mich in jüngster Zeit mehrfach eingeholt. Sie ist mit der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung, mit der des Sozialismus aufs engste verbunden. Das zwang mich, mehr als bisher mit ihr zu befassen, über Fakten nachzudenken, bisherige Positionen zu hinterfragen, einiges auch zu korrigieren.

2. Ich bin kein Historiker. Ich möchte euch lediglich einige Überlegungen zur Geschichtsdebatte in der PDS vortragen. Sie sind ein Angebot zum gemeinsamen Weiterdenken für all jene, die sich als Lernfähige, als politisch Denkende begreifen, die sich aber, von wem auch immer, mit einer Verteufelung unserer Geschichte nicht demütigen lassen.

3. Unsere Geschichte verlief bekanntlich nicht losgelöst von gesellschaftlichen Realitäten dieser Welt. Sie war Bestandteil welthistorischer Prozesse, beeinflusste und prägte im 19. und 20. Jahrhundert nachhaltig die Weltentwicklung. Und das, ungeachtet der Fehlleistungen und auch unentschuldbarer Verbrechen, die im Namen des Sozialismus geschehen sind. Das historisch Prägende waren meiner Überzeugung nach dennoch nicht seine Fehlleistungen, sondern seine Leistungen und die positiven Erfahrungen. Man stelle sich nur vor, wie die Welt heute aussehen würde, wenn das "tausendjährige Reich", wie geplant, Weltgeltung erlangt hätte. Wie wäre der Emanzipationsprozess der kolonial unterdrückten Völker verlaufen? Wie wären heute die Wertmaßstäbe im sozialen, kulturellen und Bildungsbereich? Welches Leid hätte die Welt unter imperialistischen Ambitionen ohne die Existenz des Sozialismus im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen ertragen müssen?

Nein, all das rechtfertigt jedoch in keiner Weise jedes Mittel, das im Namen des Sozialismus zur Anwendung gelangt ist. Ich distanziere mich von menschenverachtenden Praktiken, insbesondere auch deshalb, weil sie im Namen einer besseren Alternative missbraucht wurden. Solche Praktiken haben nicht nur den Sozialismus diskreditiert, sondern vielen Menschen großes Leid zugefügt. Im gescheiterten Sozialismus sind aber gleichzeitig Verhaltensnormen und menschliche Werte zur Geltung gekommen, die für Linke gerade heute relevant sind. Soziale Gerechtigkeit selbst in rückständigen Teilen der Welt, allseitige Bildung und Selbstverwirklichung in gesellschaftlich nützlicher Arbeit, soziale Sicherheit, tätige Solidarität und internationalistische Hilfe gegenüber sozial Schwachen und Benachteiligten, um nur einige zu nennen.

4. Unsere Geschichte ist nicht so verlaufen, wie wir sie gelernt und selber erlebt haben. Realsozialistisches Wunschdenken und politisch-ideologische Zwänge in den Zeiten der Blockkonfrontation trübten nicht selten unseren Blick für die historische Wahrheit.

Unsere Geschichte ist aber auch ganz gewiss nicht so verlaufen, wie sie heute dargestellt wird. Realkapitalistische und antikommunistische Sicht im Geiste des kalten Krieges drücken ihr den Stempel auf. Geschichtsdebatten über Sozialismus vermitteln dabei tendenziell das Bild eines Horror-Sozialismus, das von nicht wenigen PDS-Verantwortungsträgern aufgegriffen wird. Auch sie blenden aus, dass Geschichte generell und die des Sozialismus im Besonderen eine widersprüchliche und erbitterte Auseinandersetzung gewesen ist, die in der Regel weder friedlich noch demokratisch verlief, denn es ging um grundlegende Veränderungen im Interesse von gesellschaftlichen Mehrheiten und was heutzutage sehr schwer vorstellbar erscheint, in der Tat um "Sein oder Nichtsein" - "wir oder sie." Und das ist keine Schablone, wie manche in der PDS meinen, sondern war die ernste Realität.

5. Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass Geschichtsschreibung, Aufarbeitung und Bewältigung im Nachhinein und vom subjektiven politischen Standpunkt der jeweiligen Betrachter erfolgt. Das prägt auch entscheidend das Ergebnis einer solchen Bewältigung. Um der historischen Wahrheit so weit wie möglich gerecht zu werden, wäre es erforderlich, sich mit Hilfe des Sachverstandes linker Historiker, zunächst wenigstens auf wichtige Grundaussagen zu unserer Geschichte zu verständigen.

Stein des Anstoßes

Nun einige Überlegungen zum Stein des Anstoßes: "Den Opfern des Stalinismus." Meine Meinung dazu ist in Euren Mitteilungen vom Februar veröffentlicht worden. Deshalb hier nur so viel. Ich bin für eine würdige, längst überfällige Ehrung von Frauen und Männern aus der Arbeiterbewegung, die Opfer stalinistischer Repression wurden. Dennoch bin ich grundsätzlich gegen diesen Stein. Ohne Not bedient man sich hier eines Kampfbegriffes, der gezielt auf eine Diskreditierung des ersten sozialistischen Versuchs seit 1917 gerichtet ist. Mit dieser Inschrift ist er ein Stein der Beliebigkeit. Er ist und wird Anziehungspunkt für Antikommunisten und Feinde des Sozialismus sein. Er spaltet Linke und erweitert das Feld der Auseinandersetzung um Vergangenheit und Gegenwart in einer Gedenkstätte, wo Sozialisten und andere Fortschrittskräfte geehrt werden. Mit diesem Stein erfahren Opfer keine würdige Ehrung, sondern werden angesichts seiner Beliebigkeit entehrt und die bereits dort Bestatteten in Nachhinein verhöhnt. Dieser Stein ehrt nicht, er provoziert.

Die heftige Debatte über Sinn und Unsinn des Gedenksteins innerhalb der Partei veranlasste den Landesvorstand Berlin im Januar d. J., sich damit zu befassen und festzustellen: "...dass klare Positionen, die Vorstände formuliert haben, nicht ausreichend in der Basis verankert sind." Und da der antistalinistische Grundkonsens angeblich schwächer werde, "sieht der Landesvorstand in der Intensivierung der Geschichtsdebatte eine vorrangige Aufgabe der politischen Bildung. Dabei geht es nicht um historische Aufklärung, sondern um die Bewertung von Geschichte."

In der Tat, nicht zum ersten Mal und keineswegs nur zu historischen Ereignissen sind angeblich "klare" Positionen, die Vorstände formuliert haben, nicht ausreichend in der Basis verankert. Haben sich diese Vorstände, so auch der Berliner Parteivorstand, eigentlich jemals die Frage gestellt, woran das evtl. liegen könnte, ob nicht auch sie daran eine gehörige Mitschuld und Verantwortung tragen und deshalb gut daran täten, die "Klarheit" ihrer Positionen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu korrigieren?

So begrüßenswert die Orientierung des Landesvorstandes auch erscheinen mag, der Intensivierung der Geschichtsdebatte eine vorrangige Aufgabe der politischen Bildung beimessen zu wollen, so absurd erscheint mir die Absicht, Geschichte bewerten zu wollen, ohne sie aufzuklären. Klingt es nicht anmaßend, wenn Mitglieder von Parteivorständen die komplizierte und widersprüchliche Geschichte bewerten wollen, ohne darüber aufgeklärt zu sein, wie sie tatsächlich verlaufen ist? Laufen wir nicht wieder Gefahr, dass Parteigremien darüber beschließen, wie der Verlauf von Geschichte gewesen sein muss?

In diesem Zusammenhang sei an den Thesenentwurf vom 17. Juli 1990 für die Erneuerungskonferenz der PDS erinnert. Unter Hinweis, dass das offizielle Geschichtsbild der SED konzeptionell auf die Rechtfertigung der Politik der Parteiführung ausgerichtet war und vollständig gescheitert ist, wurde damals festgestellt: "Entscheidend ist deshalb das unnachsichtige Streben nach historischer Wahrheit. Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit im Umgang mit der Geschichte muss ein entscheidendes Markenzeichen jeglicher PDS-Politik sein." Und weiter hieß es: "Realitätsnähe fordert ausgewogene Beurteilung aller Handlungsspielräume und darf auch das Wirken der Gegenkräfte nicht ausblenden. So ist die Fragestellung, welchen Einfluss Gegenkräfte auf die Deformation des Sozialismus hatten, nicht nur legitim, sondern geradezu unverzichtbar."

Erfahrungen seit 1990 lassen leider befürchten, dass der Berliner Landesvorstand heute wenig von diesen Aussagen hält und lediglich die "klaren Positionen" der Vorstände in der Basis ausreichend genug verankern möchte. Die Basis soll offensichtlich zum wiederholten Mal zum passiven Objekt politischer Bildung degradiert werden.

Ich bin dafür, die Geschichtsdebatte im Rahmen der politischen Bildungsarbeit zu intensivieren, vorausgesetzt sie wird zum einen, nicht auf Stalinismus beschränkt, sie wird zweitens, offen, ergebnisoffen geführt, ohne jegliche Bevormundung der Basis im Sinne "klarer" Beschlüsse von Vorständen und schließlich drittens, sie wird nicht durch antikommunistischen Zeitgeist oder durch andersgeartete Zwänge aktueller Politik substanziell beeinträchtigt.

Für eine Geschichtsdebatte ohne Vorbedingungen

Das zu betonen, erscheint mir nicht zuletzt angesichts des Briefes von Klaus Lederer vom 28. März 2007 an die Parteimitglieder in Berlin wichtig zu sein. Der darin geäußerten Absicht, sich der Geschichtsdebatte zu stellen und für ein differenziertes Geschichtsbild einsetzen zu wollen, kann man nur zustimmen. Die Denkrichtung dieses "differenzierten Geschichtsbildes" wird jedoch unmissverständlich im Sinne "klarer Beschlüsse von Vorständen" bereits vorgegeben: "Die Geschichte hat ihr Urteil über den real existierenden Sozialismus gesprochen." Dieser Vorgabe schließt sich seine nächste Orientierung an: "Das (gemeint ist das o. g. Urteil der Geschichte und die Niederlage in der Systemauseinandersetzung) muss der Ausgangspunkt unserer Annäherung.... an unsere Geschichte sein." Und schließlich werden wir daran erinnert: "Wir waren uns in der Bewertung dessen bereits einmal einig, dass letztlich das Ergebnis zählt und zählen muss, nicht die gute Absicht."

Dazu, erstens, nicht die Geschichte hat ein Urteil über den Sozialismus gesprochen, sondern Eliten der Gegenwart meinen dieses Urteil, und zwar, endgültig gesprochen zu haben und alle haben sich danach zu richten. Zum anderen, wir waren uns 1990 und 2003 darüber einig, dass wir "die Geschichte der DDR nicht allein aus der Perspektive ihres Scheiterns beurteilen und geben der vorherrschenden Totalkritik nicht nach." Und zum dritten, erschöpft sich die Geschichte des real existierenden Sozialismus eben nicht in der guten Absicht und im schlechten Ergebnis. Damit wird ganz bewusst unsere Geschichte auf eine gute Absicht und auf ein schlechtes Ergebnis verkürzt und der Zugang zu einem differenzierten Geschichtsbild von vornherein unmöglich gemacht. Eine Geschichte des Sozialismus, die Bedenkenswertes und Erhaltenswertes enthält, hätte demnach nicht stattgefunden.

Bei der Systemauseinandersetzung ging es nicht um Absichten

Jene Verantwortungsträger der PDS täuschen sich und andere, wenn sie meinen, dass der reale Sozialismus über 80 Jahre lang vom kapitalistischen System erbittert nur deshalb bekämpft wurde, weil er eine gute Absicht hatte, ansonsten aber nichts anderes als eine totalitäre Diktatur war? Die Systemauseinandersetzung wurde Jahrzehnte lang nicht wegen einer guten Absicht geführt, sondern, weil man in sozialistischen Ländern dabei war, ein anderes Gesellschaftskonzept im Interesse der überwiegenden Mehrheit zu realisieren. Das Kapital fürchtete die Anziehungskraft des neuen Systems nicht wegen der guten Absicht, sondern, weil bei dieser Absicht auch viel Gutes erreicht wurde.

Eine Geschichtsdebatte darf für uns kein Selbstzweck sein, um Geschichte der Geschichte wegen zu debattieren. Wir wollen uns mit ihrer politisch-ideologischen Instrumentalisierung ebenso auseinandersetzen, wie mit ihrem Missbrauch im Dienste des Zeitgeistes. Für Linke bedeutet das, ihre Geschichte vorurteilsfrei zu befragen und relevante Lehren für gesellschaftspolitische Alternativen heute zu ziehen, Lehren für ein anderes Deutschland, für eine andere Welt.

Der gesellschaftliche Zeitgeist setzt die Linkspartei. PDS immer aufs Neue unter Druck, sich mit ihrer Vergangenheit im antistalinistischen Sinne auseinanderzusetzen. Dabei wird suggeriert, je kritischer dies geschieht, desto glaubwürdiger würde man angeblich dastehen. Nicht wenige Verantwortungsträger der PDS versuchen sich, in diesem Sinne zu profilieren, ohne sich historische Klarheit über unsere Geschichte zu verschaffen. Eine solche Geschichtsaufarbeitung führt jedoch nicht zu mehr Glaubwürdigkeit. Wir leben heute in einem konkreten Land, unter ganz konkreten Bedingungen. Bei wem und wofür wollen wir eigentlich mehr Glaubwürdigkeit erreichen, wenn wir uns durch so genannte Zwänge nötigen lassen, unsere Geschichte in Gänze zu verunglimpfen? Diese Nötigung zielt auf eine Entstellung unserer Geschichte ab und schürt Zweifel an der Vision eines wie immer auch gearteten Sozialismus.

Weder lasse ich mich nötigen, noch beabsichtige ich unsere Geschichte kritiklos zu glorifizieren. Erst das ermöglicht eine ausgewogene und ehrlich gemeinte Geschichtsdebatte.

Zum Umgang mit Geschichte

Nun einige Gedanken zum Umgang mit unserer konkreten Geschichte.

Erste Überlegung. Mir ist kein Dokument von Parteivorständen oder anderen Parteigremien der PDS in Erinnerung, das den Ursprung unserer Geschichte, der Geschichte der Arbeiterbewegung auf das kapitalistische Gesellschaftssystem zurückführt. Diesen Ursprung zu erfassen, erscheint mir gerade heute nicht unwichtig zu sein. Bereits im Kommunistischen Manifest haben Marx und Engels auf die historischen Zusammenhänge des Entstehens der proletarischen Bewegung als einer "selbständigen Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl" hingewiesen. Die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und Machtstrukturen haben seinerzeit eine Massenbewegung verursacht, die für eine antikapitalistische, sozial gerechte Assoziation kämpfte, "worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." Das System der kapitalistischen Ausbeutung hat Arbeiter und ihre Verbündeten in Bewegung gebracht. Die Arbeiterbewegung ist somit das Ergebnis kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse. Solange kapitalistische Ausbeutung und Maximalprofit das Maß allen Strebens bleibt, werden sich immer wieder Kräfte formieren, um diese Maßstäbe durch andere Wertvorstellungen zu ersetzen. Das trifft auch auf die Linkskräfte in Deutschland zu. Die Formierung einer neuen Linkspartei könnte ein Indiz dafür sein.

Zweiter Gedanke. Unstrittig in unserer Partei ist, dass das kapitalistische System in Deutschland das bislang räuberischste und menschenverachtendste Regime hervorgebracht hat, das die Menschheit je kannte. Die Nazi-Diktatur begründete mit der so genannten Überlegenheit der arischen Rasse gegenüber der "minderwertigeren slawisch-bolschewistischen" ihren Anspruch auf die Weltherrschaft. Heute wissen wir, welchen furchtbaren Weg das "tausendjährige Reich" in den zwölf Jahren Hitlerdiktatur zurück gelegt, welches Leid und welche Zerstörungen es weit über Europa hinaus verursacht hat. Wenn wir 50 Jahre danach die Frage beantworten "Wer hat vollbracht all die Taten, die uns befreit von der Fron?" , dann haben nicht wenige Verantwortungsträger der PDS damit ihre Probleme. Der damalige Kultursenator, Thomas Flierl, erklärte am 15. März 2005: "Die Alliierten haben Deutschland und seine Bewohner befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft." Mit keinem Wort wurde von ihm der entscheidende Beitrag des Sowjetvolkes und seiner Armee bei der Zerschlagung des Faschismus und bei der Befreiung nicht nur Deutschlands und seiner Bewohner erwähnt. Seine klein karierte Sicht auf die welthistorische Leistung der Sowjetunion und der anderen Staaten und Kräfte der Anti-Hitler-Koalition kommt auch in seiner Feststellung zum Ausdruck, ich zitiere: "Für uns gab es seither nur noch zwei Tage, die in der historischen Dimension an den 8. Mai heranreichen. Das war der 9. November 1989 und der 24. Mai 2004. Der eine beendete mit dem Mauerfall symbolisch die deutsche Teilung, der andere vollendete mit der Osterweiterung der Europäischen Union den Abschied von der europäischen Nachkriegszeit." Hier wird m. E. Geschichte nicht aufgearbeitet, sondern entsprechend den heutigen Erwartungen der herrschenden Eliten relativiert und bewusst entstellt. Den Senator interessierte herzlich wenig, dass der Parteivorstand Ende Oktober 2004 den "Geschichtsrevisionismus" kritisierte, in dem der "D-Day als ausschlaggebend für den Sieg über Hitlerdeutschland gewürdigt und der kriegsentscheidende Beitrag der Sowjetunion zur Randerscheinung wird."

Zum realen Sozialismus

Dritte These. Die größten Probleme haben Verantwortungsträger der PDS im Umgang mit dem real existierenden Sozialismus. Die sich verändernde Programmatik der Partei in den vergangenen 17 Jahren offenbart das eindeutig.

So wurde auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS am 17. Dezember 1989 ein Statut beschlossen, in dem es u. a. noch hieß, "Ziel der Partei ist ein neuer menschlicher, demokratischer Sozialismus in der DDR, jenseits von Profitwirtschaft, Ausbeutung und administrativ-bürokratischem Sozialismus."

Im Parteiprogramm vom Januar 1993 hieß es noch: "Betroffen und nachdenklich angesichts der Irrtümer, Fehler und Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, befragen wir kritisch im Bewusstsein unserer eigenen Verantwortung für die Entstellung der sozialistischen Idee unsere geistige und politische Tradition. Gleichzeitig widersetzen wir uns der erinnerungslosen und resignativen Kapitulation vor den selbsternannten Siegern der Geschichte."

Im Programm wurde auf wertvolle Ergebnisse und Erfahrungen verwiesen, so auf "die Beseitigung von Arbeitslosigkeit, weitgehende Überwindung von Armut, ein umfassendes soziales Sicherungssystem, bedeutende Elemente sozialer Gerechtigkeit, insbesondere ein hohes Maß an sozialer Chancengleichheit im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie in der Kultur, neue Rechte für Frauen und Jugendliche." Zugleich wurde festgestellt, "dass ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen Mehrheit des Volkes erkämpft, entwickelt und getragen wird, der nicht die Selbstbefreiung der Menschen gewährleistet, früher oder später scheitern muss." Kritisch wurden Ursachen des Scheiterns des Sozialismus in der DDR benannt und festgestellt:" Für die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Deutschlands wie auch für die Politik demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten in diesem Land ist es ebenso notwendig, sich mit den Defiziten der DDR-Gesellschaft auseinanderzusetzen, wie die Berechtigung und Rechtmäßigkeit einer über den Kapitalismus hinausgehenden Entwicklung auf deutschem Boden zu verteidigen."

Erst nach heftigen innerparteilichen Debatten ist es gelungen, die Grundaussagen des Parteiprogramms von 1993 zur DDR auch im Programm von 2003 festzuschreiben. Dennoch wurde dort die Auseinandersetzung mit dem Sozialismus sowjetischen Typs wesentlich verstärkt. Während im vorherigen Programm noch vom "welthistorischen Ereignis der sozialistischen Oktoberrevolution" die Rede war, dem die Menschheit grundlegende günstige Entwicklungen im 20. Jahrhundert verdankt, findet diese Revolution im neuen Programm keine Erwähnung mehr. Wesentlich breiteren Raum nimmt dafür die Auseinandersetzung mit dem stalinistisch geprägten Sozialismus ein.

Bezeichnend und aufschlussreich ist die Aussage zum Sozialismus in den Eckpunkten vom Oktober 2006. Darin heißt es: "Wir lehnen jede Form von Diktatur ab und verurteilen den Stalinismus als verbrecherischen Missbrauch des Sozialismus:" Dieser einzige Bezug zum realen Sozialismus dürfte der neuen Linkspartei in ihrem Engagement für einen demokratischen Sozialismus wenig hilfreich sein.

Was haben Stefan Liebich und Walter Hallstein gemeinsam?

In einer Rede zur aktuellen Stunde im Abgeordnetenhaus verstieg sich Stefan Liebich zur Aussage, dass er, wie viele DDR-Bürger die letzten 15 Jahre genutzt hat, "um ihre eigene Geschichte zu hinterfragen, um die DDR zu hinterfragen und auch, um die DDR in Frage zu stellen." Der einstige FDJ-Chef in seiner Schule, der, wie er selbst sagt, die DDR bis zuletzt gut fand, ist jetzt bei Walter Hallstein angekommen. Die Bonner Politiker haben bekanntlich über Jahrzehnte die DDR in Frage gestellt und sie mit allen Mitteln bekämpft. Jemand, der heute in der PDS die DDR in Frage stellt, stellt den Sozialismus, wie er gewesen ist, in Frage. Mit ihm eine differenzierte Geschichtsdebatte zu führen, erscheint mir mehr als fragwürdig zu sein, denn was soll Gegenstand der Debatte sein und welches Ziel soll sie verfolgen? Vielleicht einen demokratischen Kapitalismus?

Ungeachtet ihrer grundsätzlichen Kritik am Kapitalismus als System, ihres Kampfes gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung und für eine gerechte Alternative haben Sozialisten und Kommunisten die bürgerliche Gesellschaft, den Kapitalismus niemals auf Faschismus reduziert. Im Interesse der historischen Wahrheit und der Glaubwürdigkeit der PDS auch in Zukunft dürfen wir die Geschichte der Arbeiterbewegung, des real existierenden Sozialismus in der UdSSR, der DDR und anderen sozialistischen Ländern umso mehr nicht unwidersprochen als Stalinismus verunglimpfen lassen, weder von unseren politischen Gegnern und schon gar nicht von Verantwortungsträgern der PDS.

Vierter Gedanke zum Mauerbau am 13. August 1961. Zum 40. Jahrestag hatte die Historische Kommission am 26. Juni 2001 eine m. E. kritische und weitgehend ausgewogene Erklärung abgegeben. Darin wurde u. a. die Mauer als "ein Ergebnis der Blockkonfrontation im kalten Krieg" eingeschätzt, deren Opfer dadurch jedoch keineswegs gerechtfertigt werden dürfen. "Obwohl die historische Forschung Hintergründe, Zusammenhänge und Wirkungen des 13. August hinreichend untersucht und beschrieben hat, verharren Politik und Medien in lieb gewordenen Klischees. Notwendig ist aber eine sachkundige und kritische Auseinandersetzung mit diesem Ereignis, seinen Ursachen und Folgen." Die Erklärung verwies auf die Rolle Westberlins als "Frontstadt" und "Pfahl im Fleisch der DDR," als Basis für Geheimdienste sowie als Schaufenster und Brückenkopf für Warenschmuggel und Währungsgeschäfte ebenso hin, wie auf die Tatsache, dass von 1956 bis 1961 anderthalb Millionen Menschen die DDR verlassen haben. "Die Mauer fixierte den Status quo in Europa, an dessen Erhalt beide Seiten zunächst interessiert waren, und trug so zur Stabilisierung der weltpolitischen Lage und zur Friedenssicherung bei..." so die Erklärung.

Stefan Heym hat im August 1986 im Spiegel auf die Frage, wer die Baumeister der Mauer waren, geantwortet: Hitler, Truman, Adenauer, Stalin und Ulbricht. Denn: "Ohne Hitler kein Krieg und ohne Krieg kein Vorrücken der Sowjetmacht bis in die Mitte von Deutschland; ohne Hitler also keine Teilung Deutschlands in ein östliches und ein westliches Besatzungsgebiet. Die Anfänge der Mauer liegen demnach in jener Nacht im Januar 1933...."

Eine solche Beurteilung trägt mehr zum Verständnis der Mauer in einer ganz konkreten historischen Situation bei, als die einseitige Anklage der SED, der DDR mit ihrem "stalinistisch geprägten Sozialismustyp" in der Erklärung des Parteivorstandes vom 3. Juli 2001. In der gleichen Erklärung wurde übrigens der gewesene Sozialismus als "staatssozialistische Episode im 20. Jahrhundert" verunglimpft. Der damalige Gegner der DDR findet in der gleichen Erklärung zwar eine Erwähnung, er unterliegt aber keineswegs einer ebenso kritischen Bewertung wie der Realsozialismus.

Am 10. August 2001 haben Petra Pau, Landesvorsitzende, Carola Freundl und Harald Wolf, die damaligen Fraktionsvorsitzenden, eine eigene gemeinsame Erklärung zum 40. Jahrestag der Berliner Mauer abgegeben. Darin wurde lapidar verkündet, dass es die Aufgabe der Historiker bleiben wird, den Bau der Berliner Mauer durch die Staatsführung der DDR zu erklären. "Die Pflicht der PDS ist es, die Mauer unter Anlage demokratisch-sozialistischer Maßstäbe zu bewerten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Das politische Urteil fällt vernichtend aus." Dieser vernichtenden Bewertung der Mauer schloss sich die ebenso vernichtende Feststellung: "Die PDS hat unwiderruflich mit dem "Stalinismus der DDR gebrochen."

Diese Erkenntnisse von PDS-Politikern fanden ihren Niederschlag in der unsäglichen Präambel der Berliner Koalitionsvereinbarung vom 16. Januar 2002. Auf dieses so genannte Symbol des Totalitarismus und der Menschenrechtsverletzungen eingehend, wurde darin festgestellt: "Wenn auch der kalte Krieg von beiden Seiten geführt wurde, die Verantwortung für dieses Leid lag ausschließlich bei den Machthabern in Ost-Berlin und Moskau."

Wo bleibt hier das differenzierte Geschichtsbild? Ein solcher Umgang mit unserer Geschichte zeugt von Ignoranz und Anpassung an den Zeitgeist.

Fünfter Gedanke zur Vereinigung von KPD und SPD zur SED. Aus Anlass des 50. Jahrestages des Zusammenschlusses hatte die Historische Kommission Ende 1995 eine m. E. weitgehend sachliche und kritische Erklärung abgegeben. Darin wurde auf die große Anziehungskraft der Idee zur Einheit der Arbeiterbewegung nach 1945 sowie darauf verwiesen, dass eine selbstkritische Aufarbeitung der jeweiligen Geschichte sowohl in der KPD als auch in der SPD in der Folgezeit unterblieben ist. Die Erklärung wandte sich gegen "jegliche vereinfachenden, zu parteiisch aufgeladenen Kurzformeln geronnenen Wertungen. Mögen sie ‚Erfüllung der Sehnsucht aller Werktätigen' oder ‚Zwangsvereinigung' lauten." Bereits damals warnte die Kommission: "Wir dürfen nichts beschönigen, aber wir brauchen auch einem antikommunistischen und antisozialistischen Zeitgeist keinen Tribut zu zollen."

Nur fünf Jahre später, zum 55. Jahrestag der Vereinigung von KPD und SPD gaben Gabi Zimmer, Vorsitzende der PDS, und Petra Pau, Berliner Landesvorsitzende, am 18. April 2001, eine Erklärung ab. Darin stellten sie fest, dass die gemeinsame Geschichte beider Parteien die Gegenwart belastet und entschuldigten sich "beim Volk der DDR" für die Vereinigung beider Parteien, "denn die Gründung und Formierung der SED wurde auch mit politischen Täuschungen, Zwängen und Repressionen vollzogen." Demonstrativ erklärten sie, dass sie von der Sozialdemokratie keine Abbitte für Handlungen erwarten, mit denen sie der deutschen Linken Schaden zugefügt hat. Schon damals stellte sich die Frage, wenn die gemeinsame Geschichte die Gegenwart belastet, wäre es dann nicht sinnvoll gewesen, sich dieser gemeinsamen Geschichte auch gemeinsam mit der SPD kritisch und selbstkritisch zu stellen? Diese Erklärung war, wie Gabi Zimmer vor der Presse erläuterte, an die Spitze der SPD gerichtet. Damit sollte ganz offensichtlich eine günstigere Ausgangslage für die Regierungsbeteiligung der PDS auf Bundesebene nach den Bundestagswahlen 2002 geschaffen werden.

Einseitige Ablassrituale haben m. E. weder etwas mit ernster Aufarbeitung der Geschichte zu tun, noch können sie eine tragfähige Grundlage für gemeinsames Handeln in der Gegenwart bilden. Eine solche Anbiederung ist einer demokratisch sozialistischen Partei unwürdig, da ihre hehren programmatischen Ziele dabei zur Unkenntlichkeit verblassen und nicht dazu beitragen, das Profil der Partei zu schärfen.

Volksaufstand, oder was?

Die nächste Überlegung bezieht sich auf den 17. Juni 1953. Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre trachtete der Imperialismus nach Revanche für die Niederlage, die er im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges erlitten hatte. Bereits am 5. März 1946 rief der britische Premierminister Churchill in Fulton (USA) in seiner berüchtigten Rede auf, ein anglo-amerikanisches Militärbündnis zum Kampf gegen den "östlichen Kommunismus" zu schaffen. Das war die Geburtsstunde des kalten Krieges gegen den Sozialismus und seine Hauptmacht. Damit wurde eine Politik "am Rande des Krieges" eingeläutet. Eine Politik der Stärke sollte den Sozialismus einschüchtern und durch Androhung militärischer Gewalt, durch ökonomischen Boykott und subversive Aktivitäten in die Knie zwingen. Auch in diesem Krieg ging es um Macht und Einfluss, für den Sozialismus um "Sein" oder "Nicht Sein".

"Auch für die Arbeiterbewegung gilt, dass nur der sich der Zukunft zuwenden kann, der die Vergangenheit bewältigt hat..." Diese Feststellung von Stefan Heym hat Stefan Liebich am 12. Juni 2003 im Berliner Abgeordnetenhaus vorgetragen. So richtig diese Feststellung ist, so schwierig ist es, die Frage zu beantworten, kann man Geschichte überhaupt bewältigen, wen ja, was genau heißt Geschichtsbewältigung, wann ist sie bewältigt und wer entscheidet darüber, ob sie bewältigt ist. Ich werfe diese Frage auf, weil der 17. Juni auch innerhalb der PDS nicht selten ausschließlich unter dem Blickwinkel des Stalinismus als Arbeiteraufstand beurteilt wird. Laufen wir damit nicht wieder Gefahr, eine Einseitigkeit, es war ein faschistischer Putsch, durch eine andere zu ersetzen? So geschehen in der Berliner Koalitionsvereinbarung, in der es hieß: "Zusammen mit den damaligen Entscheidungsträgern in der Sowjetunion ist sie (die SED) verantwortlich für die gewaltsame Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953..."

Für mich ist unstrittig, dass die Unzufriedenheit und damit die Ursache für den Protest vieler Menschen in damaligen Fehlentscheidungen der SED-Führung lagen. Unstrittig ist auch, dass es sich damals nicht um einen spontanen Volksaufstand handelte. Würden uns heute die Unterlagen des BND und anderer Sicherheitsorgane der BRD und der westlichen Besatzungsmächte zur Verfügung stehen, so würden wir ganz gewiss einen vollständigeren Einblick erhalten, um eine ausgewogene und wahrheitsgemäße Beurteilung des 17. Juni vornehmen zu können.

Wie demokratisch ist die PDS?

Unsere Geschichte wäre unvollständig, würde man die bisherige Geschichte der PDS ausklammern. Programmatisch und statuarisch haben wir uns, historische Lehren des real existierenden Sozialismus berücksichtigend, aus guten Gründen auf Demokratie und innerparteiliche Demokratie festgelegt. Die Praxis ist nicht selten von unseren hehren Absichtserklärungen abgewichen. Das möchte ich an folgenden Beispielen veranschaulichen:

1. Immer wieder fordern wir völlig zu Recht, dass die bürgerlich-parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik, insbesondere bei wichtigen Entscheidungen, durch eine direkte Beteiligung der Bürger, durch Volksentscheide untersetzt werden sollte. Wie glaubwürdig erscheint unsere Partei, wenn wir es in unserer siebzehnjährigen Geschichte nicht vermocht haben, auch nur eine einzige Mitgliederbefragung zu irgendeiner Grundsatzentscheidung durchzuführen. Als im Oktober 2006 Hans Modrow angeregt hatte, in Berlin eine Mitgliederbefragung durchzuführen, damit die Basis über die Fortsetzung der Koalition in Berlin unmittelbar selbst entscheiden und das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen legitimieren kann, hat sich Klaus Lederer mit dem Hinweis dagegen ausgesprochen, dass " der Landesparteitag die höchste Instanz der Partei ist." Diese Belehrung ist alles andere als originell, denn nach wie vor sollte auch in Berlin die Parteibasis der Souverän einer demokratisch verfassten Partei bleiben und bei sehr wichtigen Entscheidungen direkt befragt werden. Nach einer eklatanten Wahlniederlage wäre es mehr als legitim gewesen, wenn sich die Berliner Parteispitze dem Votum der Parteimitglieder gestellt hätte. Hätte die Parteibasis mehrheitlich zugestimmt, besäßen die Verantwortungsträger eine basisdemokratische Legitimation und könnten mit Unterstützung der Partei agieren. Hätte sie negativ entschieden, dann hätte man die ohnehin stark umstrittene PDS-Politik in Berlin neu überdenken müssen.

2. Demokratisierung der Demokratie war bei uns einst ein geflügeltes Wort. Wenn man sich die innerparteiliche Verfasstheit der Berliner PDS genauer betrachtet, so muss man heute feststellen, dass wir bei formaler Demokratie verharren. Was meine ich damit? Zum einen, dass nahezu alle wichtigen Entscheidungen durch gewählte Gremien durchaus scheindemokratisch legitimiert werden. Scheindemokratisch, weil Kritik, falls sie in diesen Gremien überhaupt noch nachhaltig geübt wird, nicht selten entweder unsachlich zurückgewiesen wird oder ohne jegliche Reaktion und Wirkung verpufft. Außerdem sind die Entscheidungsgremien seit Jahren von Funktionsträgern überproportional zuungunsten der Parteibasis vertreten. Ihre Bereitschaft, Überlegungen der Basis politikwirksam zu berücksichtigen, hat beträchtlich abgenommen. Die Berliner Wahlniederlage 2006 war für die Partei auch insofern eine ernste Warnung, als von Parteigremien-Mehrheiten legitimierte Politik bei potentiellen Wählern noch lange keine Zustimmung erhalten muss. Und das liegt nicht an Vermittlung von, sondern vor allem am Inhalt der Politik selbst.

3. Noch ein Beispiel, wie bei uns zuweilen innerparteiliche Demokratie nicht funktioniert. Am 5. Oktober 2005 unterbreitete ich dem Vorsitzenden der Personalentwicklungskommission, Rolf Kutzmutz zwei Vorschläge zum Anforderungskatalog für die Kader der Partei. Ich machte darauf aufmerksam, dass die einseitige und mehrmalige Orientierung auf Loyalität die Gefahr in sich birgt, dass Funktionsträger und Mitarbeiter mit der Zeit sich anpassen und sich untertänig verhalten. Ich schlug vor, dass man Loyalität durch sachliches und schöpferisches Kritikverhalten im Katalog ergänzen sollte. Des Weiteren schlug ich vor, dass hauptamtliche Mitarbeiter und Fraktionsmitarbeiter ihre Arbeit nicht, wie im Katalog gefordert wurde, nur als "Dienstleistung" verstehen sollten, sondern als politisches Engagement, denn politisch Engagierte sind auch bessere Dienstleister. Rolf versprach, die Kommissionsmitglieder darüber zu informieren und teilte mir vorab seinen Standpunkt mit. Loyalität schließe seiner Meinung nach Kritik automatisch ein. Politisches Engagement sei, wie er schrieb, Teil der Arbeit. Darauf habe ich entsprechend geantwortet, dass das in der Partei keineswegs selbstverständliche Praxis sei. Von seinem Nachfolger, Dietmar Bartsch, habe ich nie eine Antwort erhalten. Dabei geht es immerhin um Anforderungen, die an Kader der Partei gestellt werden. Davon und wie sie praktiziert werden, hängt viel ab.

... selbstkritisch sein, dagegen sehr!

4. Verantwortungsträgern der PDS fällt es, wie wir gesehen haben, nicht allzu schwer, mit der Geschichte unserer politischen Vorfahren und insbesondere mit deren Fehlleistungen umzugehen. Umso schwerer fällt es ihnen jedoch, ihr eigenes Wirken in jüngster Vergangenheit sowie eigene Fehlleistungen kritisch zu bewerten. In ihrer Erklärung vom Februar 2007 "Eine Stadt, stark für alle" beschworen Carola Bluhm, Klaus Lederer und Harald Wolf: "Die Politik war grundsätzlich richtig, weil sie notwendig war." Nahezu die Hälfte der Berliner PDS- Wähler im Osten der Stadt hat keine solche Not gesehen und die rote Karte gezogen. Weder die Niederlage bei den Bundestagswahlen 2002 noch die Wahlniederlage im September 2006 in Berlin wurden einer gründlichen und selbstkritischen Analyse unterzogen. So wurde nach der Berliner Wahl festgelegt, dass erst ein halbes Jahr später auf einem Landesparteitag gründlich über Ursachen des Wahldebakels diskutiert werden soll. Bereits wenige Wochen nach den Wahlen fanden jedoch Sondierungsgespräche mit der SPD statt und kurz darauf führten Koalitionsverhandlungen zur Fortsetzung der Berliner Koalition. Der Basis blieb weitgehend unbekannt, dass seit 8. Dezember bereits ein umfangreiches Material "Beiträge zur Wahlauswertung" vorlag, darunter Thesen zum Wahlergebnis, die der Landesvorstand ausgearbeitet hatte. Diesen Thesen folgte eine interessante Auswertung der Wahl, in der die kritischen Reaktionen der Basis, einzelner Parteimitglieder und Erklärungen einzelner Verantwortungsträger zusammengefasst waren. Diese beiden Materialien offenbarten bereits damals die völlig unterschiedliche Sichtweise des Landesvorstandes einerseits und die der Basis und einzelner Verantwortungsträger andererseits. Während der Landesvorstand "Thesen zum Wahlergebnis" vorlegte, beschäftigte sich das anschließende Papier mit den Ursachen der Niederlage. Im März 2007 verabschiedete der Landesparteitag Beschluss Nr. 1 "Herausforderungen annehmen- Die neue Linke bauen." Darin wurde darauf verwiesen, dass die Partei auf verschiedenen Ebenen die Ursachen der Wahlniederlage analysiert hatte. Als "Zwischenergebnisse der Debatte um die Wahlanalyse" wurden nahezu wörtlich die selbstherrlichen Positionen des Landesvorstandes vom Dezember 2006 wiederholt.

Wie müssen sich Parteimitglieder angesichts dieser Praxis vorkommen, wenn sie sich den Brief des Landesvorsitzenden vom 20.September 2006 durchlesen. Darin hat uns Klaus seinerzeit aufgefordert, ohne Rechtfertigung und Beschönigung gründlich über die Ursachen der bitteren Wahlniederlage nachzudenken. Er bat uns herzlich um unsere Beteiligung. "Wir brauchen Eure Erfahrungen, Sichten und Vorschläge zum Umgang mit der Situation." So Klaus damals. Ist angesichts einer solchen Ignoranz seitens des Landesvorstandes gegenüber der Meinung der Basis die Skepsis nicht allzu verständlich, wenn er in seinem Aufruf zur Geschichtsdebatte jetzt wiederum schreibt: "Wir brauchen in dieser Situation Euren Rat und Eure Lebenserfahrung." Wie glaubwürdig ist jemand, der um Rat bittet und dann Meinungen der Basis ignoriert? Es wäre hilfreich, wenn der Landesvorstand wenigstens über eine Aussage seines Zwischenergebnisses nachdenken könnte. Nicht, wie er meint, die Instrumentalisierung der Regierungsbeteiligung behinderte die innerparteiliche Auseinandersetzung um Programmatik und die strategische Ausrichtung der Politik und beförderte das negative Image der Berliner Partei, sondern m. E. umgekehrt, die nahezu einseitige Ausrichtung und Instrumentalisierung der Berliner Politik auf Regierungsbeteiligung, anstatt auf das strategische Dreieck beeinträchtigte diese Auseinandersetzung um Programmatik und Strategie und beförderte das Negativimage der Partei.

Aus all dem ergibt sich m. E. für den Umgang mit unserer Geschichte:

1. dass man sie nicht politisch motiviert umschreiben und sie willkürlich manipulieren darf. Und dennoch geschieht das immer wieder und führt zwangsweise zum Geschichtsrevisionismus. Wir sollten uns bemühen, unsere Geschichte zu befragen, bisherige Erkenntnisse auch zu hinterfragen und neu gewonnene Fakten im historischen Kontext zu bewerten. Wer vorsätzlich Geschichtsrevision betreibt, wird auch in der Gegenwart keine nachhaltige Glaubwürdigkeit erlangen können;

2. dass die Idee des Sozialismus im vergangenen Jahrhundert durch seine Feinde und die teilweise pervertierte eigene Praxis bereits zugenüge diskreditiert worden ist. Es verbietet sich, ihn im Nachhinein im 21. Jahrhundert noch weiter vorsätzlich diskreditieren zu wollen, weder durch Antikommunisten, noch im Namen des demokratischen Sozialismus. Eine solche einseitige Verklärung ist dem demokratischen Sozialismus auch wenig hilfreich;

3. dass, so berechtigt die kritische Auseinandersetzung mit dem real existierenden Sozialismus und den Ursachen seines Scheiterns auch ist, so notwendig ist es, sich ebenso kritisch mit unserer demokratisch sozialistischen Praxis in den vergangenen 17 Jahren auseinanderzusetzen. Diese unsere Praxis hat bewiesen, dass wir keineswegs davor gefeit sind, bestimmte Mängel und Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und erneut zu scheitern;

4. dass mit der Schaffung einer neuen Linkspartei ein neuer Abschnitt unserer Geschichte beginnt und, dass wir zwecks Stärkung der Linkskräfte bundesweit ein Stück unserer Identität verlieren. Spannend ist nicht die Frage ob, sondern welches Stück unserer Identität wir aufgeben und was wir erhalten und weiter entwickeln, damit wir als linke Alternative wahrnehmbar und politikwirksamer agieren können.
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